Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu, wahrlich ein turbulentes Jahr, in vieler Hinsicht. Was für mich vor vielen Jahren als wohlvorbereitete Vision in den schönsten Farben begann, ist zu einem permanent spannenden Seiltanz zwischen den Kulturen geworden, ein schwingendes und federndes Seil, mit Luftsprüngen, aber auch Momente knapp vor dem Absturz. Viele meiner alten Freunde meinen, ich sähe heute viel jünger aus als vor meiner Auswanderung, gesteigerte Lebendigkeit?
Zudem macht sich die tief eingenistete Tradition der vorweihnachtlichen Zeit auch bei mir bemerkbar, damit meine ich nicht den Einkaufsrummel in kerzenbeleuchteter Kälte weit weg in der Heimat, sondern eher eine stille Sentimentalität, gepaart mit etwas Nachdenklichkeit. Hier in unserem Dorfe hat es ja nichts Weihnachtliches. Diese wenigen Plastik-Lichterträger in der Grossstadt, die offensichtlich in amerikanischer X-Mas-Manier auch die Einheimischen zu einem weiteren Konsumwahnsinn motivieren sollen, verbreiten wenig Stimmung. Darüber bin ich an sich gar nicht unglücklich. Dafür haben wir Lautsprecher! Diese waren zentrales Thema in meiner Kolumne vom 1. November, damals war mein Schlusswort: „Die Lautsprecher der Mönche stoppten, sofort!“
Der ganze November war auch Ruhe, aber just zur Vorweihnachtszeit begannen sie wieder zu brüllen, 96 Dezibel jeden Morgen um fünf in meinem Bett. Mittlerweile haben verschiedene wichtige Redner des Dorfes die Macht dieser Lautsprecher entdeckt und es brüllt um die Wette, etwa drei Mal dreissig Minuten, jeden Tag! Ein kleines thailändisches Bauerndorf braucht wahrlich keine Weihnachten, eher Ohrenstöpsel militärischen Kalibers.
Die „Auseinandersetzung zwischen den Kulturen“ hat in Thailand seine eigene Dynamik und Regeln. Das beginnt schon bei den eingebrachten Argumenten. Die eine Seite hat viele, sogar wissenschaftliche, die andere hat gar keine. Da gilt nur die Obrigkeit, der zu gehorchen ist. Es konnte mir nämlich bis anhin niemand erklären, was diese Lautstärke mit den Vorbereitungen einer Tempeleinweihung zu tun hat, ein grosses Fest, welches erst in zweieinhalb Monaten stattfinden wird. Und das ist die Dimension der Tortur, die von allen bedingungslos geschluckt wird, ausser eben dem Farang. Der weiss nämlich zufällig, dass das Gehör nur einmal in der Woche mit 96 dB für 30 Minuten belastet werden darf, mehr führt zur Gehörschädigung. Also ein direkter Angriff auf die Gesundheit desjenigen, der einst die Stille und Abgeschiedenheit einer ländlichen Idylle für seine letzten Lebensjahre ausgewählt hatte.
Und wie reagiert meine liebreizende Familie? Sie ist arg im Clinch, zwischen Stühlen und Bänken, eingeklemmt zwischen Traditionalismus und Moderne, bei jeder Auseinandersetzung und Kritik verängstig zurückweichend. Und trotzdem läuft was hinter den Kulissen, unter Ausschluss des Farangs. Eines aber ist klar, die Sturheit der Mönche gewinnt auf jeden Fall. Immerhin wurde ein Kompromiss ausgehandelt, die Lautsprecher würden nach dem Tempelfest für immer verschwinden. Also ein wieder normales Leben nach drei Monaten, hoffentlich.
Stockdunkle Nacht, ein paar Sekunden nach Mitternacht, kein Mond und keine Sterne, totale Stille. Plötzlich brüllt Ornette Coleman’s Free Jazz Part One durch die Nacht, nach knapp 20 Minuten in Part Two überblenden und nach 30 Minuten ausblendend. Die vier riesigen, angemieteten Trichterlautsprecher sind gegen die Tempelanlage gerichtet und bringen satte 90 dB in sechs Meter Abstand über die Soi. Herrlich. Und das Ganze wiederholt sich, sozusagen als Gegenwelle morgens um fünf, diesmal die Heavy Metal Band Megadeth mit „The Right To Go Insane“. Die hämmernden Bässe mischen sich wunderbar mit dem aus der Gegenrichtung gebrüllten Thai-Song. 96 dB minus 90 dB = fast totale Selbstaufhebung……physikalisch wohl nicht ganz so.
Nun, das ist eine Falschmeldung welche sich bestens in die heutige Desinformations-Politik vieler Medien einordnen liesse. Aber die Idee, muss ich zugeben, ist wirklich gut. Sogar äusserst kreativ meine ich. Ich stand auch schon vor dem Geschäft mit diesen Trichtern und wollte nachfragen, was es kosten würde diese zu mieten. Da realisierte meine liebreizende Gattin meine Absicht und eine noch nie gesehene wilde Entschlossenheit sprühte aus ihren Augen. Den verbalen Teil lasse ich jetzt lieber weg. Das sind so die Begebenheiten, die mich in einer vorweihnachtlichen Zeit umtreiben, die keine ist. Das lässt einen auch etwas nachdenklich in die Zukunft blicken, die vielleicht auch keine sein wird. Die vielen Trumpel, die da weltweit aus dem Boden schiessen, versprechen nicht gerade das Beste. Und wenn der Ober-Trumpel sein Imperium herausfordert, so wie er das eben gerade tut, dann könnte der Jahresanfang in eine heisse Phase einer neuen Weltordnung treten. Mann-ohh-Mann.
Es ist vor allem die Männerwelt die ihren Männerwahn immer mehr eskalieren lässt, auf allen Ebenen.Schlagabtausche überall, Machtgehabe, Säbelrasseln, Kriegsgeheul, kompensierte Impotenz in kranken Hirnen, alte Säcke ohne Eier meinen die Welt regieren und beherrschen zu müssen. Un-festliche Worte in einer un-sicheren Zeit. Was geht uns denn das an? …hier in den Pampas im wilden Osten? Nicht viel, könnte man meinen. Aber da sind diese Lautsprecher!
Und das Internet! Immerhin sind wir heute mit der ganzen Welt verbunden, wenn wir wollen. Kürzlich haben wir erstaunliche 50Mb/s erhalten. Das ist affenschnell und zaubert alles in bester Qualität auf den Bildschirm. Nun, die Staats- und Regime-gesteuerten Lügen-Medien (weltweit) interessieren mich weniger, obwohl es manchmal auch gut zu wissen ist, was die Menschheit so zu wissen glaubt. Da sind die sogenannt unabhängigen Medien und die sozialen Netzwerke schon interessanter. Aber im Zeitalter der immer krasser werdenden Schlagabtausche auch hier die grossen Verwischungen.
Nehmen wir mal Facebook. Über 50% aller News – Nachrichten zum Weltgeschehen- in Facebook sind nachweislich gefälscht, Falschinformationen. Aber die meisten reagieren darauf, als hätten sie soeben die wichtigste Wahrheit des Tages gelesen. Das schlägt sich dann in den Kommentaren nieder, die sehr oft unsachlich bis primitiv ausfallen. So in der Art wie wenn sich zwei Hunde ans Bein pinkeln würden, was Hunde ja grundsätzlich nicht tun, aber Menschen eben schon. Hier beginnen Schlagabtausche und Machtgehabe des „kleinen Mannes“.
Im Facebook gibt es ja viele Interessen-Gruppen, so zum Beispiel: Isaan-Freunde, Leben in Thailand, Expats in Isaan, All about Thailand, You Know You’ve Lived in Thailand, Friends 4 Thailand, Breakfast Club Pattaya, Farang can understand Thai culture, Alle Hundeliebhaber Weltweit, Glaub nicht alles! …und viele Tausende mehr. Hier werden also sachbezogene Gedanken und Informationen ausgetauscht…und je länger je mehr einander ans Bein gepinkelt. Es ist höchst interessant, einmal eine einfache Anfrage eines Gruppenmitglieds in den Kommentaren weiterzuverfolgen. Spätestens beim dritten Kommentar beginnen die Meinungs-Schlagabtausche, auf eine sachliche Antwort wartet der Fragende oft vergebens. Und gerade hier in Thailand scheint es unglaublich viele Besserwisser, Rechthaber und höchst erfahrene Profis zu geben. Und wenn dann so ein Deutsch-Sprechender einen Einheimischen – auch wenn dieser ein Mörder ist – als Dreck bezeichnet und Vorschläge bringt, was mit diesem zu geschehen hat (nein, vergasen war nicht auf der Liste), dann wird‘s mir mulmig, sehr mulmig.
Ein Highlight waren die Reaktionen auf das neue 10-jahres Visum, da sind die Kommentare beinahe Amok gelaufen. Und Facebook ist ein Eldorado für Videos, von jedermann/frau aus der Hüfte geschossen. Da häufen sich die Wildwest-Szenen auf den Strassen des Landes, da werden Autos mit Füssen getreten und Kinnhacken verteilt, des Öfteren sogar mit einer Pistole aus dem Fenster gewedelt. Selbstverständlich sind Aggressionen nicht nur männlich, das zeigen diese vielen Thai-Videos wo mehrere Schülerinnen eine Mitschülerin brutal verprügeln und ungehemmt in den Kopf treten. Und das in einem Land wo nach buddhistischer Ansicht der Kopf nicht berührt werden soll.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die angestauten Aggressionen mehr und mehr ausbrechen, seit die grosse moralische Instanz seine letzte Reise ins Nirwana angetreten hat. Übrigens ein grossartiger Mann, den ich nur schon wegen seiner Musik sehr verehrte. Und wieder wurde es im Facebook zelebriert, die darauf folgende Hexenjagd gegen nicht ordnungsgemäss Trauernde. Und dann noch diese junge Dame, welche offenbar im Auftrag des Militärs das Land bereiste und an Universitäten Vorträge hielt und proklamierte, die Menschen im Isaan seien zu dumm und primitiv für eine gemeinsame Zukunft. Noch eine Falschmeldung? …es war sogar in den Zeitungen und löste hier im Nordosten einen riesigen Shitstorm im Facebook aus. Rote Köpfe auch hier im Hause.
Die historischen Parallelen sind frappant. Auf der einen Seite das einzige Imperium seit 1945 – die USA – mit ihren über 40 illegalen Kriegen mit über 25 Mio. Toten als Kollateralschaden. Die Kriegsgründe sind meistens nach dem Krieg als Lügengebilde in sich zusammengefallen. Auf der anderen Seite die Kleinen mit ebenfalls imperialen Gelüsten als wetteifernde Nachahmer und Vasallen. Ich kann mich da an einen Putsch erinnern, der damit gerechtfertigt wurde, das Volk wieder zu vereinen, unter anderem…
Fakten für die Zukunft: ein modernes Imperium definiert sich u.v.a. mit der Anzahl Flugzeugträger, die USA (das Imperium) besitzt 42, gefolgt von Frankreich und England mit je 11, Russland mit 9 und China mit einem. Die Liste der Flugzeugträgerbesitzer ist nicht sehr lang, aber darauf steht interessanterweise auch unser Gastland mit einem Träger der Chakri Naruebet-Klasse. Das amüsante daran ist, dass dieses Schiff keine Flugzeuge hat. Bringt es nun der Ober-Trumpel nächstes Jahr tatsächlich fertig, sein Imperium zu destabilisieren, z.B. durch den weltweiten Truppenrückzug von den über 400 Militärbasen, dann könnten auf der HTMS Chakri Naruebet vielleicht plötzlich chinesische Kampfjets stehen……Mann-ohh-Mann, wir sind mitten drin!
Mit diesen spannenden Aussichten wünsche ich allen von Herzen einen guten Rutsch in neue Jahr….und ich entschuldige mich, dass meine Geschichte diesmal nicht voller Jingle Bells war…